Goethe im Profil

Fliegende Goethe-Blätter

Goethe in der modernen Welt

Goethe lässt sagen

Bei der Märkischen Allgemeinen hat jemand einen schlechten Tag erwischt:

Namen sind Schall und Rauch“, lässt Goethe seinen Faust zu Gretchen sagen. Dass Namen aber auch Programm sein können, widerlegen unzählige andere Personen nicht nur in der Fiktion, sondern in der Realität. Oft sind es gleich mehrere, nämlich Vereine, die ihrem Namen alle Ehre machen.

Nein, das lässt Goethe nicht sagen, sondern bei ihm heißt es bekanntlich:

[…] Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.

Und da ist doch ein feiner Bedeutungsunterschied zwischen „Name ist“ und „Namen sind“. Aber da dann auch der zweite Satz vollständig baden gegangen ist, wollen wir ein Auge zudrücken.

Meist zitiert

Die Deutsche Welle bringt es auf den Punkt:

„Name ist Schall und Rauch“ heißt es im Drama „Faust“ von Goethe, einem der meist zitierten Werke deutscher Literatur.

Ja, meist zitiert, selten nur gelesen!

Goethes Kurzgeschichte

Die Gießener Allgemeine weist auf eine Aufführung der Komödie „Ehe auf Zeit“ hin:

Buseck (siw). Nicht erst die ehemalige Fürther Landrätin Dr. Gabriele Pauli brachte die »Ehe auf Zeit« ins Gespräch. Die heutige bayrische Landtagsabgeordnete hatte mit Johann Wolfgang von Goethe einen berühmten Vordenker für dieses Ansinnen. Zu der Komödie »Ehe auf Zeit« haben sich Rolf Sperling und Stefan Bermüller durch eine Kurzgeschichte des bekanntesten deutschen Dichters inspirieren lassen.

Wie hier schon des öfteren angemerkt, kann es mit der Bekanntheit  des „bekanntesten deutsche Dichters“ nicht so sehr weit her sein. So bleibt uns denn auch die übrige Meldung einen Hinweis darauf schuldig, um welche „Kurzgeschichte“ Goethes es sich dabei wohl gehandelt haben mag.

Du ahnungsloser Engel du!

Fokus von Goethes Werken verlegt

Das Delmenhorster Kreisblatt bringt die etwas verwirrenden Überschrift:

Haftjahre lenken Fokus von Goethe auf die Sprachsoziologie

Unwillkürlich zuckt der Kenner zusammen und fragt sich, wann Goethe denn im Gefängnis gewesen sein soll. Die Lektüre des zugehörigen Artikels beruhigt nur wenig:

Doch der charismatische Professor hatte noch mehr zu berichten. „Robben Island war für uns alle die beste Universität“, sagt Neville Alexander über seine Gefangenschaft. Fast vierzig Jahre seines Lebens hat er dem Kampf gegen die Apartheid gewidmet, von 1963 bis 1973 war er dafür auf Robben Island interniert. Die Gespräche mit anderen Häftlingen, darunter Persönlichkeiten wie Nelson Mandela, prägten ihn, erzählt Alexander.

Damals drängten die Rassentrennung und die Landverteilung als Themen, den jungen Forscher trieb aber schon die Sprachfrage um. Ursprünglich hatte er in Tübingen in Literaturwissenschaft promoviert – und spricht neben seiner Muttersprache Afrikaans und Englisch fließend Deutsch. Nach der Haft verlegte er den Fokus von Goethes Werken auf die Sprachsoziologie.

Das klärt zwar die Frage nach den „Haftjahren“, bringt aber die weitere Frage auf, mit welcher Autorität ausgestattet Neville Alexander den Fokus der Werke Goethes verlegt hat und ob er die Goethe-Forschung davon ausreichend in Kenntnis gesetzt hat. Zu erwarten ist jetzt wohl, dass alle existierenden Ausgaben der Werke Goethes nutzlos werden und wir ganz neue Texte erwarten müssen. Bleiben wir vorerst gelassen!

Ebenfalls einer der wichtigsten Vertreter

Welt online (bis Bild 9 durchklicken!) gibt Nachhilfe:

Johann Wolfgang von Goethe gehört ebenfalls zu den wichtigsten Vertretern der Weimarer Klassik. Er wurde am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren und starb am 22. März 1832 in Weimar. Von ihm stammen die Gedichte „Prometheus“ und „Der Erlkönig“ sowie das Drama „Faust“ und der Roman „Die Leiden des jungen Werthers“.

Immerhin „Werthers“, das muss man anerkennen! Wie schrieb Arno Schmidt einst so richtig:

Die ‹Goethe=Straße› unserer Stadt ? – : »Jaja; haben tun wir schon eine …« (aber die durfte ich ihm gar nicht zeigen : ein kurzes krummes Ding; jwd.; und auf den Schildern stand ‹Deutscher Dichter, 1749–1832›; in Forzheim blühen die Künste !

In dem zur Klippschule gehörenden Schönheitswettbewerb „Wer ist für Sie der beste Dramatiker?“ führt bei derzeit 2182 abgegebenen Stimmen Shakespeare mit 41 % vor Goethe und Schiller mit jeweils 12 %. Verfolger Bert Brecht hält mit 11 % Kontakt zum Spitzentrio und hat noch Chancen, in die Medaillenränge zu kommen!

Erstbegegnung

Frau Karin Vogler, freiberufliche Stadtführerin in Rudolstadt, weist in einer Pressemitteilung auf das erste Gespräch zwischen Goethe und Schiller hin, das am 7. September 1788, nach Goethes Rückkehr aus Italien, in Rudolstadt im Hause derer von Lengefeld stattfand. Das Gespräch war bekanntlich kurz und nicht sehr herzlich und begründete ein vorerst eher kühles Verhältnis der beiden „Klassiker“ zueinander.

So weit, so gehöft. Allerdings überschreibt Frau Vogler ihre Pressemitteilung mit den Worten:

220 Jahre Erstbegegnung von Goethe und Schiller, …

Abgesehen von dem schönen deutschen Wort „Erstbegegnung“, das Goethe leider noch nicht verwenden konnte, hat die erste Begegnung zwischen Goethe und Schiller eben nicht 1788 im Hause von Lengefeld stattgefunden, sondern bereits am 14. Dezember 1779 in Stuttgart. Damals fand das Fest zum Stiftungstag der Stuttgarter Karlsschule statt, und Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach und Goethe nahmen als Gäste des Württembergischen Herzogs Karl Eugen daran teil. Schiller erhielt während der Feierlichkeiten drei Auszeichnung in den medizinischen Fächern, war in diese Feier also auffällig involviert. Sicherlich stiftete diese erste Begegnung keinerlei persönliche Bekanntschaft zwischen Goethe und Schiller, nichtsdestotrotz fand die „Erstbesteigung“ „Erstbegegnung“ beider fast neun Jahre früher statt.

„Wen liebte Goethe wirklich?“

Das fragt sich heute sogar die Bild-Redaktion! Nachdem dem sogenannten Goethe-Forscher Ettore Ghibellino mit seiner schwachbrüstigen Spekulation über ein Liebesverhältnis zwischen Anna Amalia und Goethe in der Frühzeit des Weimarer Aufenthaltes endlich einmal von offizieller Seite widersprochen wurde, hat der Streit nun offenbar ein Niveau erreicht, das auch den mit den Weimarer Verhältnissen nur eher ahnungsvoll vertrauten Standard-Leser der Bild interessiert. Jeder, der sich nur ein wenig auskennt, weiß, dass Ghibellinos These kompletter Unsinn ist. Jeder, der sich ein wenig besser auskennt, weiß, dass der Stellungnahme der Stiftung Weimarer Klassik nur zugestimmt werden kann:

Ghibellinos Ansatz ist historisch so fragwürdig, das zugrunde liegende Kunst- und Literaturverständnis derart einseitig biographisch, der Umgang mit den Quellen so unreflektiert und manipulativ, die Kenntnisnahme und Einbeziehung der aktuellen Forschungsliteratur so selektiv, dass sich eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung eigentlich verbietet. In der Fachwelt hat Ghibellinos Veröffentlichung daher weder Interesse noch Unterstützung gefunden. Allerdings vermarktet der Autor mit seinem Buch geschickt das große Interesse an der Person Goethes, dabei auch voyeuristische Bedürfnisse des Publikums bedienend. Inzwischen sind bereits zwei Nachauflagen (2004 und 2007) und eine englische Übersetzung (2007) erschienen. Aus diesem Grund muss diese neue ‚Weimar-Legende‘ in aller Deutlichkeit als das benannt werden, was sie tatsächlich ist, nämlich eine Erfindung des Autors.

Ghibellino kündigt im Gegenzug weitere „Belege“ an:

Nun wartet Leithold mit neuen Funden auf, die mitten ins Herz der Ghibellino-Klassik-Stiftung-Kontroverse treffen. Es handelt sich um eine umfangreiche Korrespondenz zwischen Graf Eustach von Goertz (1737-1821) und seiner Frau Caroline, geb. Uechtritz (1749-1806). Neben höfischen Belangen und geheimdiplomatischen Missionen wird darin auch über die wahrscheinlich intime Beziehung zwischen Anna Amalia und Goethe berichtet.

Und wieder wird er damit Furore machen, dass er zeitgenössischen Klatsch & Tratsch, der in intriganter Absicht erfunden und verbreitet wurde – wir haben auch sonst schon zahlreiche Belege für diese Art der frühen Anti-Goethe-Propaganda des Adels –, ernst nimmt und als „Beweis“ anführt. Wollen wir für ihn hoffen, dass er es aus Dummheit, nicht aus Bosheit tut.

Goethes Enkel

gersdorff_enkel Dagmar von Gersdorff liefert in ihrer gewohnten Manier einen biographische Überblick zu den drei Kindern Ottilies und Augusts von Goethe: Walther, Wolfgang und Alma. Wie dünn die Quellenlage ist, mag man daraus ablesen, dass wir zu Ottilie von Goethe allein beinahe soviel erfahren wie zu ihren drei, bzw. vier Kindern, denn auch die nachgeborene, uneheliche und bald verstorbene Anna findet Erwähnung.

Wie immer bei Gersdorff sollte man keine tiefgreifenden Analysen erwarten, sondern sich auf schlichte Darstellungen der Faktenlage einstellen. Das bedeutet nicht, dass das Buch keine Überraschungen enthielte: So dürfte etwa die homoerotische, wahrscheinlich auch homosexuelle Beziehung zwischen Robert Schumann und Walther von Goethe in der Goethe-Literatur in dieser Deutlichkeit noch nicht thematisiert worden sein. Auch hier darf man nicht mit einem subtilen psychologischen Profil rechnen; Gersdorff bleibt im Wesentlichen bei der Feststellung stehen, Walther habe anlässlich der ungewollten Schwangerschaft seiner Mutter eine Misogynie erworben, die für sein Verhalten als hinreichende Erklärung herhalten muss. Ob die dargebotenen Quellen für die Vermutung hinreichen, auch Wolf habe homoerotische Neigungen gehabt, mag dahingestellt bleiben.

Insgesamt ergibt sich für Walther und Wolf – Alma stirbt zu früh, um sich ein ausreichendes Bild ihrer Persönlichkeit zu machen – das Bild zweier lebensunfähiger Spätlinge, die durch Krankheiten und Hypochondrie davon abgehalten werden, jemals mit ihrem Leben ernst zu machen. Selbst Wolf, der sich wenigstens zeitweise gegen seine Krankheiten durchzusetzen zu versuchen scheint, beendet seine Karriere als Diplomat nach wenigen Jahren wieder und kehrt zu Müßiggang, halbem Künstlertum und Selbstbetrachtungen zurück. Besonders im letzten Teil des Buches stellt man sich die bei Biographien zum Goethe-Umfeld typische Frage, ob der betriebene Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zu den verhandelten Persönlichkeiten steht. Für Goethe selbst und sein Werk ist der Gewinn verständlicherweise gering.

Dagmar von Gersdorff: Goethes Enkel. Walther, Wolfgang und Alma. Frankfurt/M.: Insel Verlag, 2008. Pappband, 287 Seiten.
19,80 €.

Goethe merkt was

Die Zeitschrift Zitty Berlin hat mit dem schwedischen Regisseur Roy Andersson anlässlich seines jüngsten Films „Du levande“ ein Interview unter dem Titel „Werbung für Goethe“ geführt. Goethe kommt im Interview nur vor, weil Andersson seinem Film ein Goethe-Zitat als Motto vorangestellt hat. Wie intim Andersson mit dem Leben und Werk Goethes vertraut ist, zeigt sein einziger Satz über Goethe:

Als Goethe nach Italien kam, war er wohl so um die 40, und plötzlich hat er gemerkt: Wow, was hatte ich bisher für ein intellektuelles Leben, warum habe ich eigentlich die sinnlichen Dinge nicht mehr genossen?

Wow! So muss es gewesen sein, ganz unbedingt!

Wasser und Wein

»Billie!« sagte ich, »wenn das der alte Geheimrat Goethe sähe! Wasser in den Wein! Wo haben Sie denn diese abscheuliche Angewohnheit her! sagte er zu Grillparzer, als der das tat. Oder hat er es zu einem andern gesagt? Aber gesagt hat er es.«

Kurt Tucholsky: Schloß Gripsholm

Ich fand die Speisen äußerst wohlschmeckend und den Wein mindestens ebenso gut. Vor jedem Gaste stand eine Flasche Rot- oder Weißwein. Ich wollte mir einen klaren Kopf für den Nachtisch erhalten, weshalb ich Wasser unter meinen Wein goß. Goethe bemerkte es und äußerte tadelnd:
»Wo haben Sie denn diese üble Sitte gelernt?!«

Goethe zu Wilhelm Zahn, 7. September 1827

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