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Goethe in der modernen Welt

„Wen liebte Goethe wirklich?“

Das fragt sich heute sogar die Bild-Redaktion! Nachdem dem sogenannten Goethe-Forscher Ettore Ghibellino mit seiner schwachbrüstigen Spekulation über ein Liebesverhältnis zwischen Anna Amalia und Goethe in der Frühzeit des Weimarer Aufenthaltes endlich einmal von offizieller Seite widersprochen wurde, hat der Streit nun offenbar ein Niveau erreicht, das auch den mit den Weimarer Verhältnissen nur eher ahnungsvoll vertrauten Standard-Leser der Bild interessiert. Jeder, der sich nur ein wenig auskennt, weiß, dass Ghibellinos These kompletter Unsinn ist. Jeder, der sich ein wenig besser auskennt, weiß, dass der Stellungnahme der Stiftung Weimarer Klassik nur zugestimmt werden kann:

Ghibellinos Ansatz ist historisch so fragwürdig, das zugrunde liegende Kunst- und Literaturverständnis derart einseitig biographisch, der Umgang mit den Quellen so unreflektiert und manipulativ, die Kenntnisnahme und Einbeziehung der aktuellen Forschungsliteratur so selektiv, dass sich eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung eigentlich verbietet. In der Fachwelt hat Ghibellinos Veröffentlichung daher weder Interesse noch Unterstützung gefunden. Allerdings vermarktet der Autor mit seinem Buch geschickt das große Interesse an der Person Goethes, dabei auch voyeuristische Bedürfnisse des Publikums bedienend. Inzwischen sind bereits zwei Nachauflagen (2004 und 2007) und eine englische Übersetzung (2007) erschienen. Aus diesem Grund muss diese neue ‚Weimar-Legende‘ in aller Deutlichkeit als das benannt werden, was sie tatsächlich ist, nämlich eine Erfindung des Autors.

Ghibellino kündigt im Gegenzug weitere „Belege“ an:

Nun wartet Leithold mit neuen Funden auf, die mitten ins Herz der Ghibellino-Klassik-Stiftung-Kontroverse treffen. Es handelt sich um eine umfangreiche Korrespondenz zwischen Graf Eustach von Goertz (1737-1821) und seiner Frau Caroline, geb. Uechtritz (1749-1806). Neben höfischen Belangen und geheimdiplomatischen Missionen wird darin auch über die wahrscheinlich intime Beziehung zwischen Anna Amalia und Goethe berichtet.

Und wieder wird er damit Furore machen, dass er zeitgenössischen Klatsch & Tratsch, der in intriganter Absicht erfunden und verbreitet wurde – wir haben auch sonst schon zahlreiche Belege für diese Art der frühen Anti-Goethe-Propaganda des Adels –, ernst nimmt und als „Beweis“ anführt. Wollen wir für ihn hoffen, dass er es aus Dummheit, nicht aus Bosheit tut.

2 Kommentare zu „„Wen liebte Goethe wirklich?““:

  1. GT

    Mich würde interessieren, woher Kommentator MF seine Kenntnis bezieht, dass die obengenannte Korrespondenz Klatsch und Tratsch mit intriganter Absicht und Verbreitung enthält. Hat er diese Briefe selbst gelesen? Diese zentrale Argumentation des Kommentars kann ich nicht nachvollziehen.

  2. MF

    Offensichtlich kann man aus einer Lektüre der Briefe den Wahrheitsgehalt der darin vorhandenen Behauptungen nicht entnehmen, ebenso wenig wie man durch die Lektüre einer Zeitung herausfinden kann, ob die von ihr verbreiteten Meldungen der Wahrheit entsprechen.

    Der Beleg muss andersherum geführt werden: Angesichts der Tatsache, dass für den fraglichen Zeitraum zahlreiche Briefe des Weimarer Adels und seines Umfelds existieren, die offenbare Verleumdungen Goethes enthalten, die mit dem Ziel verbreitetet wurden, dessen Stellung am Weimarer Hof zu untergraben (vgl. „Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen“, Bd. 1), ist das Vorweisen von Briefen mit der Behauptung, Goethe habe ein intimes Verhältnis mit der Herzoginmutter gehabt, grundsätzlich nicht ausreichend, dies auch als wahr anzunehmen, sondern es ist wie die anderen Behauptungen auch bis auf weiteres als Klatsch und Tratsch einzuordnen. Solange man nicht mehr als diese Briefe vorweisen kann, ist es schlicht unredlich, diese Behauptungen als Wahrheiten darzustellen.

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