Goethe im Profil

Fliegende Goethe-Blätter

Goethe in der modernen Welt

Oberlehrerbegriffe

Sie wissen natürlich, wer unser höchster Klassiker ist, Goethe. Aber bemerken Sie, wie er sich bei der Kanonade von Valmy benahm, als er mit dem revolutionären Heer der Franzosen zusammentraf? Er stellte mit großer Klarheit fest: von hier datiert eine neue Epoche der Weltgeschichte, worauf er nachdenklich nach Weimar zurückging und weiterdichtete. Später schwärmte er Napoleon an, als den großen Mann, was völlig unseren Oberlehrerbegriffen entspricht.

Alfred Döblin: November1918.
Heimkehr der Fronttruppen

Goethe-Schiller-Briefwechsel gestartet

Die hier bereits angekündigte Wiedergabe des Goethe-Schiller-Briefwechsels in Echtzeit ist heute mit dem Vorwort der zweiten Ausgabe von 1856 und der Widmung an den König von Bayern gestartet worden. Ab morgen folgen die Briefe in dem Takt, wie sie zwischen den beiden Weimarer Klassikern zwischen 1794 und 1805 gewechselt wurden:

http://www.briefwechsel-schiller-goethe.de/

Flirten wie Faust?

Bei Kein & Aber ist ein kleines Büchlein von Bernd Fritz erschienen, in dem der Autor verschiedene Anmach-Methoden aus der Weltliteratur einer Begutachtung unterzieht. Natürlich verfällt er dabei auch auf Goethe:

Faust I (1808)

FAUST UND GRETCHEN

  • Flirtausgangslage: eine Unbekannte auf der Straße ansprechen
    (Schwierigkeitsgrad 6)
  • Methoden: Beschützermasche; direktes Kompliment

Dichterfürst Goethe hat für seinen Faust selbstverständlich den schwierigsten, den Königsweg der Anmache gewählt:»Straße. Faust. Margarete vorübergehend.« Und uns mit dem Startspruch eine gelinde Enttäuschung bereitet: »Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit ihr anzutragen?« Auch der halsstarrigste Goethe-Verehrer wird einräumen müssen, dass dieser Einfall nicht das ist, was man gemeinhin »das Gelbe« nennt. Sondern uns eher lehrt, wie es nicht geht. Die Abfuhr folgt denn auch auf dem Fuße: »Bin weder Fräulein noch schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.« Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer, dass Herrn Goethe neben der heutzutage nur bedingt tauglichen Beschützermasche zwei weitere methodische Grundfehler anzukreiden sind, ein grober und ein schlimmer.

Der grobe Fehler: Obwohl Goethes Zeitgenosse Musäus im Märchen von der Königin Libussa bereits den Tipp publik gemacht hatte, dass es »ein missliches Unterfangen« sei, einer Frau »ohne vorgängige Unterredung mit den Augen und ihren bedeutsamen Blicken eine mündliche Erklärung abzufordern«, wird hier die Frau von der Seite angequatscht.

Der schlimme Fehler geht aus der Bühnenanweisung hervor: sie macht sich los und ab. Er hat sie also auch noch gleich angefasst! Ihh! Da passt es denn ins plumpe Bild, Mephisto um Hilfe zu bitten und den Fehlschlag mit Stress zu entschuldigen: »Hätt ich nur sieben Stunden Ruh, brauchte den Teufel nicht dazu, so ein Geschöpfchen zu verführen.« Alter Angeber!

  • Bewertung: plump, zudringlich
  • Prädikat: nicht empfehlenswert
  • Erfolgsprognose: null

Leider fällt die Analyse etwas kontextlos aus: Erstens ist zu bezweifeln, dass Faust bei seiner ersten Begegnung mit Gretchen überhaupt einen Flirt-Versuch unternimmt. Faust steht bekanntlich unter dem Einfluss einer starken Liebesdroge, die er gerade in der Hexenküche verpasst bekommen hat und deren Wirkung Mephisto so beschreibt:

Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
Bald Helenen in jedem Weibe.

Fausts Ziel ist also nicht die Leichtigkeit eines Flirts, sondern ihm steht der Sinn – wie auch der weitere Text belegt – nach einer direkten Triebabfuhr. Insoweit kann zwar der Fritzschen Einschätzung der Methode weitgehend zugestimmt werden, aber diese Plumpheit ist eine konsequente Entwicklung der vorangegangen Handlung und sollte daher vom guten Leser gerade nicht als Enttäuschung empfunden werden.

Auch ist Fritz’ Erfolgsprognose deutlich zu pessimistisch, denn immerhin erreicht Faust letztendlich sein Ziel mit allen Folgen (schwangeres Liebchen, tote Schwiegermutter in spe, toter Schwager in spe, Kindsmord, Verurteilung und Hinrichtung des Liebchens). In diesem Sinne lässt sich nur einmal mehr feststellen, dass in Liebessachen die Methode weitgehend überschätzt wird und der Erfolg weniger von ihr abhängt als vielmehr von ganz anderen, mehr hormonellen Bedingungen:

Ich gäb‘ was drum, wenn ich nur wüßt‘,
Wer heut der Herr gewesen ist!
Er sah gewiß recht wacker aus,
Und ist aus einem edlen Haus;
Das konnt‘ ich ihm an der Stirne lesen –
Er wär‘ auch sonst nicht so keck gewesen.

Allerdings kann bei aller Kritik Fritzens Urteil über Faust – »Alter Angeber!« – nur  aufrichtig zugestimmt werden.

Vor fast 300 Jahren

Spiegel Online fällt das Rechnen schwer:

300-jahre

Dr. Riemer und Doktor Faustus

Nur indirekt eine Goethe-Stelle, aber immerhin: Klaus Geitel widmet in seiner Kolumne in der Berliner Morgenpost eine Zeile Goethes Mitarbeiter Friedrich Wilhelm Riemer:

[…] der 58bändige, noch zu seinen Lebzeiten erschienene Ausgabe „Goethe letzter Hand“, bereichert noch mit dem wahrhaft unentbehrlichen Registerband seines Sekretärs Dr. Riemer, über dessen Wichtigtuerei sich Thomas Mann im „Doktor Faustus“ so nachhaltig lustig macht.

Es ist natürlich „Lotte in Weimar“, in dem sich Thomas Mann über Riemers Wichtigtuerei lustig macht, und nicht sein „Doktor Faustus“, in dem Riemer gar nicht erwähnt wird.

Solide literarische Bildung

Im Mannheimer Morgen schwelgt Kunsthallen-Direktorin Ulrike Lorenz in Erinnerungen an ihre einst angeblich „solide literarische Bildung“:

Ich besuchte die Goethe-Schule. Beim mündlichen Abitur musste ich mich zum deutschesten aller deutschen Sätze auslassen: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ (Goethe, Faust I). Man hielt sich etwas zugute im Arbeiter- und Bauernstaat auf die Weimarer Klassik und den deutschen Idealismus. Ganz abgesehen davon, ich hatte eine wunderbare Deutschlehrerin, die sich um Staatsdoktrin wenig, aber umso mehr um eine solide literarische Bildung von uns Schülerinnen und Schüler kümmerte.

Wie mag jemand, der den „Faust“ wirklich einmal bis zu diesem Satz gekannt hat, auf den Einfall kommen, dies könne in der Tragödie erstem Teil stehen? Oder war die Abituraufgabe doch eine andere Stelle?

MEPHISTOPHELES. Sie ist gerichtet!
STIMME von oben.transpixelIst gerettet!

Das wäre dann allerdings nicht „der deutscheste aller deutschen Sätze“ und würde auch eher nicht zum Idealismus „im Arbeiter- und Bauernstaat“ passen.

FAUST. […] Da muß sich manches Rätsel lösen.
MEPHISTO. Doch manches Rätsel knüpft sich auch.

Noch nicht getroffen

Im Cicero – Deutschlands Magazin für Intellektuelle und solche, die es gern buchstabieren können möchten – widmet sich Alois Weimer in einem langen Artikel dem 250. Geburtstag Schillers, den wir in diesem Jahr feiern können. Natürlich kommt auch Goethe vor:

Obwohl Schiller schon 1784 bei einer Lesung am Hof in Darmstadt von Herzog Karl August von Weimar zum „Sachsen-Weimarschen Rat“ ernannt und obwohl er fast ein ganzes Jahr (vom Juli 1787 – Mai 1788) in Weimar lebte, wirkte und Kontakte zu Wieland und Herder knüpfte, den dichtenden Minister Johann Wolfgang von Goethe hatte er noch nicht getroffen. Zwar hatte der ihm in Jena eine Professur in Geschichte vermittelt, aber eine Begegnung mit dem Verfasser der Räuber suchte der Dichter der Iphigenie nicht.

Nun wäre es jederman schwergefallen, Goethe zwischen Juli 1787 und Mai 1788 in Weimar anzutreffen, da dieser sich bekanntlich von September 1786 bis Juni 1788 in Italien aufhielt. Die Wiederbegegnung Goethes mit Schiller fand dann am 7. September 1788 statt. Die Bemühungen des Weimarer Hofes, darunter auch Goethes, um eine – wohlgemerkt unbesoldete – Professur für Schiller in Jena, fallen in den Dezember 1788, also deutlich nach der persönlichen Begegnung der beiden. Noch vor dem 15. Dezember tritt Schiller zu  einem Dankbesuch bei Goethe an. Am 26. Mai 1789 schließlich erfolgt Schillers Antrittsvorlesung in Jena.

Es stehen noch viele weitere Belege für die Ahnungslosigkeit des Verfassers im Text; es mag jeder selbst sein Vergnügen suchen.

Kein Drama

Bei der Rheinischen Post blamiert sich heute Gabi Adrian:

Goethe (1749 bis 1832) wurde zu seiner Zeit berühmt u.a. mit Werken wie „Götz von Berlichingen“ (1771) und „Die Leiden des jungen Werther“ (1774). Beide Dramen, dessen Protagonisten unangepasst sind und am Rande der Gesellschaft stehen, werden der literarischen Epoche des Sturm und Drangs zugeordnet.

Das hat man nun davon, dass die Erzählungen Goethes nicht mehr gelesen, sondern nurmehr „angeschaut“ werden. Und das Datum beim „Götz“ ist auch noch falsch, und – wenn wir gerade dabei sind – es muss „deren“ statt „dessen“ heißen.

Goethe-Schiller-Briefwechsel als Blog

Giesbert Damaschke wird ab dem 13. Juni dieses Jahres den kompletten Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller in Echtzeit in einem Blog veröffentlichen. Das Projekt wird voraussichtlich also im April 2020 zu seinem Ende kommen. Ein RSS-Feed kann bereits abonniert werden.

„Urfaust“, 1787

Nach Auffassung des WDR muss die Publikationsgeschichte des „Faust in ursprünglicher Gestalt“ neu geschrieben werden:

1770 hatte Goethe mit der Arbeit am Faust begonnen. 17 Jahre später erschien eine erste Fassung, später als Urfaust bekannt, in der zunächst die Gretchentragödie im Mittelpunkt stand und der Pakt mit dem Teufel noch fehlte.

Bekanntlich wurde die Handschrift des sogenannten Urfaust, die das  Fräulein von Göchhausen irgendwann zwischen 1776 und 1786 angefertigt hatte, erst 1887, also 117 Jahre später, entdeckt und dem Druck übergeben. Aber wer weiß, was man beim WDR unter „erschien“ versteht?

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