Eigentlich habe ich aufgehört, populäre Bücher über Goethe zu lesen (was den Fliegenden Goethe-Blättern gar nicht bekommt!), denn man liest zu seiner und letztlich auch anderer Enttäuschung in diesen Büchern doch immer wieder dasselbe, also das, was der Autor irgendwo anders abgeschrieben hat, wo man es selbst auch schon gelesen hat. Und wenn einmal etwas Neues drin steht, ist es meistens falsch, und man ärgert sich.
Doch zwischendurch schleicht sich dann doch wieder ein Titel an mich heran, und ich werde neugierig. So auch bei Stefan Bollmanns „Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist“. Guter Titel! Und Stefan Bollmann verdanke ich immerhin so hübsche Bücher wie „Frauen, die lesen, sind gefährlich“. Also nehme ich – provinziell wie ich wohne – den Service jenes großen Versenders mit dem Flussnamen in Anspruch, der mich in viele neue Bücher bequem hineinschauen lässt. Und nach nur wenigen 100 Zeilen finde ich folgendes:
»Man lebt nur einmal«, war einer seiner [Goethes] Lieblingssätze.
Da bin ich überrascht, denn obwohl ich mir einbilde, Goethes Werke einigermaßen zu kennen, konnte ich mich an gerade diese Phrase nun gar nicht erinnern. Also werfe ich die Suchmaschine an und finde:
Und fassen Sie wieder Fuß auf der Erde! Man lebt nur einmal.
Das ist aus einem Brief Goethes an jenen geheimnisvollen Johann Friedrich Krafft (vom 11. November 1778), in dem er den ihm persönlich Unbekannten, der sich verzweifelt an ihn um Hilfe gewendet hatte, nach Jena weist, wo er ihm weitere Hilfe zukommen lassen will. Er spricht dem an der Welt verzagenden Mann ein aufmunterndes Wort zu, sicherlich in dem Bewusstsein, dass man sich in solchen Lagen immer nur hilflos der Phrase bedienen kann, um so mehr, wenn man den Angesprochenen kaum kennt. Wer mehr über diese Geschichte erfahren möchte, kann das dritte Kapitel in Albrecht Schönes „Der Briefschreiber Goethe“ lesen, das genau diesem Brief gewidmet ist.
Aber der Satz kommt bei Goethe noch einmal vor:
Wunderlich! Mich dünkt doch, man lebt nur Einmal in der Welt, hat nur Einmal diese Kräfte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als möglich, ist ein Tor. Und heiraten! heiraten just zur Zeit, da das Leben erst recht in Schwung kommen soll! sich häuslich niederlassen, sich einschränken, da man noch die Hälfte seiner Wanderung nicht zurückgelegt, die Hälfte seiner Eroberungen noch nicht gemacht hat! Daß du sie liebtest, das war natürlich, daß du ihr die Ehe versprachst, war eine Narrheit, und wenn du Wort gehalten hättest, wär’s gar Raserei gewesen.
Das sagt Carlos in „Clavigo“ (I, 1), als er dabei ist, Clavigo zu jener zynischen Haltung zu überreden, die schließlich Marie Beaumarchais das Leben kosten wird.
Einer seiner Lieblingssätze? Ja, wenn man’s nicht ein bisschen tiefer wüsste.