Goethe im Profil

Fliegende Goethe-Blätter

Goethe in der modernen Welt

Solide literarische Bildung

Im Mannheimer Morgen schwelgt Kunsthallen-Direktorin Ulrike Lorenz in Erinnerungen an ihre einst angeblich „solide literarische Bildung“:

Ich besuchte die Goethe-Schule. Beim mündlichen Abitur musste ich mich zum deutschesten aller deutschen Sätze auslassen: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ (Goethe, Faust I). Man hielt sich etwas zugute im Arbeiter- und Bauernstaat auf die Weimarer Klassik und den deutschen Idealismus. Ganz abgesehen davon, ich hatte eine wunderbare Deutschlehrerin, die sich um Staatsdoktrin wenig, aber umso mehr um eine solide literarische Bildung von uns Schülerinnen und Schüler kümmerte.

Wie mag jemand, der den „Faust“ wirklich einmal bis zu diesem Satz gekannt hat, auf den Einfall kommen, dies könne in der Tragödie erstem Teil stehen? Oder war die Abituraufgabe doch eine andere Stelle?

MEPHISTOPHELES. Sie ist gerichtet!
STIMME von oben.transpixelIst gerettet!

Das wäre dann allerdings nicht „der deutscheste aller deutschen Sätze“ und würde auch eher nicht zum Idealismus „im Arbeiter- und Bauernstaat“ passen.

FAUST. […] Da muß sich manches Rätsel lösen.
MEPHISTO. Doch manches Rätsel knüpft sich auch.

Noch nicht getroffen

Im Cicero – Deutschlands Magazin für Intellektuelle und solche, die es gern buchstabieren können möchten – widmet sich Alois Weimer in einem langen Artikel dem 250. Geburtstag Schillers, den wir in diesem Jahr feiern können. Natürlich kommt auch Goethe vor:

Obwohl Schiller schon 1784 bei einer Lesung am Hof in Darmstadt von Herzog Karl August von Weimar zum „Sachsen-Weimarschen Rat“ ernannt und obwohl er fast ein ganzes Jahr (vom Juli 1787 – Mai 1788) in Weimar lebte, wirkte und Kontakte zu Wieland und Herder knüpfte, den dichtenden Minister Johann Wolfgang von Goethe hatte er noch nicht getroffen. Zwar hatte der ihm in Jena eine Professur in Geschichte vermittelt, aber eine Begegnung mit dem Verfasser der Räuber suchte der Dichter der Iphigenie nicht.

Nun wäre es jederman schwergefallen, Goethe zwischen Juli 1787 und Mai 1788 in Weimar anzutreffen, da dieser sich bekanntlich von September 1786 bis Juni 1788 in Italien aufhielt. Die Wiederbegegnung Goethes mit Schiller fand dann am 7. September 1788 statt. Die Bemühungen des Weimarer Hofes, darunter auch Goethes, um eine – wohlgemerkt unbesoldete – Professur für Schiller in Jena, fallen in den Dezember 1788, also deutlich nach der persönlichen Begegnung der beiden. Noch vor dem 15. Dezember tritt Schiller zu  einem Dankbesuch bei Goethe an. Am 26. Mai 1789 schließlich erfolgt Schillers Antrittsvorlesung in Jena.

Es stehen noch viele weitere Belege für die Ahnungslosigkeit des Verfassers im Text; es mag jeder selbst sein Vergnügen suchen.

Kein Drama

Bei der Rheinischen Post blamiert sich heute Gabi Adrian:

Goethe (1749 bis 1832) wurde zu seiner Zeit berühmt u.a. mit Werken wie „Götz von Berlichingen“ (1771) und „Die Leiden des jungen Werther“ (1774). Beide Dramen, dessen Protagonisten unangepasst sind und am Rande der Gesellschaft stehen, werden der literarischen Epoche des Sturm und Drangs zugeordnet.

Das hat man nun davon, dass die Erzählungen Goethes nicht mehr gelesen, sondern nurmehr „angeschaut“ werden. Und das Datum beim „Götz“ ist auch noch falsch, und – wenn wir gerade dabei sind – es muss „deren“ statt „dessen“ heißen.

„Urfaust“, 1787

Nach Auffassung des WDR muss die Publikationsgeschichte des „Faust in ursprünglicher Gestalt“ neu geschrieben werden:

1770 hatte Goethe mit der Arbeit am Faust begonnen. 17 Jahre später erschien eine erste Fassung, später als Urfaust bekannt, in der zunächst die Gretchentragödie im Mittelpunkt stand und der Pakt mit dem Teufel noch fehlte.

Bekanntlich wurde die Handschrift des sogenannten Urfaust, die das  Fräulein von Göchhausen irgendwann zwischen 1776 und 1786 angefertigt hatte, erst 1887, also 117 Jahre später, entdeckt und dem Druck übergeben. Aber wer weiß, was man beim WDR unter „erschien“ versteht?

Goethe lässt sagen

Bei der Märkischen Allgemeinen hat jemand einen schlechten Tag erwischt:

Namen sind Schall und Rauch“, lässt Goethe seinen Faust zu Gretchen sagen. Dass Namen aber auch Programm sein können, widerlegen unzählige andere Personen nicht nur in der Fiktion, sondern in der Realität. Oft sind es gleich mehrere, nämlich Vereine, die ihrem Namen alle Ehre machen.

Nein, das lässt Goethe nicht sagen, sondern bei ihm heißt es bekanntlich:

[…] Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.

Und da ist doch ein feiner Bedeutungsunterschied zwischen „Name ist“ und „Namen sind“. Aber da dann auch der zweite Satz vollständig baden gegangen ist, wollen wir ein Auge zudrücken.

Meist zitiert

Die Deutsche Welle bringt es auf den Punkt:

„Name ist Schall und Rauch“ heißt es im Drama „Faust“ von Goethe, einem der meist zitierten Werke deutscher Literatur.

Ja, meist zitiert, selten nur gelesen!

Goethes Kurzgeschichte

Die Gießener Allgemeine weist auf eine Aufführung der Komödie „Ehe auf Zeit“ hin:

Buseck (siw). Nicht erst die ehemalige Fürther Landrätin Dr. Gabriele Pauli brachte die »Ehe auf Zeit« ins Gespräch. Die heutige bayrische Landtagsabgeordnete hatte mit Johann Wolfgang von Goethe einen berühmten Vordenker für dieses Ansinnen. Zu der Komödie »Ehe auf Zeit« haben sich Rolf Sperling und Stefan Bermüller durch eine Kurzgeschichte des bekanntesten deutschen Dichters inspirieren lassen.

Wie hier schon des öfteren angemerkt, kann es mit der Bekanntheit  des „bekanntesten deutsche Dichters“ nicht so sehr weit her sein. So bleibt uns denn auch die übrige Meldung einen Hinweis darauf schuldig, um welche „Kurzgeschichte“ Goethes es sich dabei wohl gehandelt haben mag.

Du ahnungsloser Engel du!

Fokus von Goethes Werken verlegt

Das Delmenhorster Kreisblatt bringt die etwas verwirrenden Überschrift:

Haftjahre lenken Fokus von Goethe auf die Sprachsoziologie

Unwillkürlich zuckt der Kenner zusammen und fragt sich, wann Goethe denn im Gefängnis gewesen sein soll. Die Lektüre des zugehörigen Artikels beruhigt nur wenig:

Doch der charismatische Professor hatte noch mehr zu berichten. „Robben Island war für uns alle die beste Universität“, sagt Neville Alexander über seine Gefangenschaft. Fast vierzig Jahre seines Lebens hat er dem Kampf gegen die Apartheid gewidmet, von 1963 bis 1973 war er dafür auf Robben Island interniert. Die Gespräche mit anderen Häftlingen, darunter Persönlichkeiten wie Nelson Mandela, prägten ihn, erzählt Alexander.

Damals drängten die Rassentrennung und die Landverteilung als Themen, den jungen Forscher trieb aber schon die Sprachfrage um. Ursprünglich hatte er in Tübingen in Literaturwissenschaft promoviert – und spricht neben seiner Muttersprache Afrikaans und Englisch fließend Deutsch. Nach der Haft verlegte er den Fokus von Goethes Werken auf die Sprachsoziologie.

Das klärt zwar die Frage nach den „Haftjahren“, bringt aber die weitere Frage auf, mit welcher Autorität ausgestattet Neville Alexander den Fokus der Werke Goethes verlegt hat und ob er die Goethe-Forschung davon ausreichend in Kenntnis gesetzt hat. Zu erwarten ist jetzt wohl, dass alle existierenden Ausgaben der Werke Goethes nutzlos werden und wir ganz neue Texte erwarten müssen. Bleiben wir vorerst gelassen!

Ebenfalls einer der wichtigsten Vertreter

Welt online (bis Bild 9 durchklicken!) gibt Nachhilfe:

Johann Wolfgang von Goethe gehört ebenfalls zu den wichtigsten Vertretern der Weimarer Klassik. Er wurde am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren und starb am 22. März 1832 in Weimar. Von ihm stammen die Gedichte „Prometheus“ und „Der Erlkönig“ sowie das Drama „Faust“ und der Roman „Die Leiden des jungen Werthers“.

Immerhin „Werthers“, das muss man anerkennen! Wie schrieb Arno Schmidt einst so richtig:

Die ‹Goethe=Straße› unserer Stadt ? – : »Jaja; haben tun wir schon eine …« (aber die durfte ich ihm gar nicht zeigen : ein kurzes krummes Ding; jwd.; und auf den Schildern stand ‹Deutscher Dichter, 1749–1832›; in Forzheim blühen die Künste !

In dem zur Klippschule gehörenden Schönheitswettbewerb „Wer ist für Sie der beste Dramatiker?“ führt bei derzeit 2182 abgegebenen Stimmen Shakespeare mit 41 % vor Goethe und Schiller mit jeweils 12 %. Verfolger Bert Brecht hält mit 11 % Kontakt zum Spitzentrio und hat noch Chancen, in die Medaillenränge zu kommen!

Erstbegegnung

Frau Karin Vogler, freiberufliche Stadtführerin in Rudolstadt, weist in einer Pressemitteilung auf das erste Gespräch zwischen Goethe und Schiller hin, das am 7. September 1788, nach Goethes Rückkehr aus Italien, in Rudolstadt im Hause derer von Lengefeld stattfand. Das Gespräch war bekanntlich kurz und nicht sehr herzlich und begründete ein vorerst eher kühles Verhältnis der beiden „Klassiker“ zueinander.

So weit, so gehöft. Allerdings überschreibt Frau Vogler ihre Pressemitteilung mit den Worten:

220 Jahre Erstbegegnung von Goethe und Schiller, …

Abgesehen von dem schönen deutschen Wort „Erstbegegnung“, das Goethe leider noch nicht verwenden konnte, hat die erste Begegnung zwischen Goethe und Schiller eben nicht 1788 im Hause von Lengefeld stattgefunden, sondern bereits am 14. Dezember 1779 in Stuttgart. Damals fand das Fest zum Stiftungstag der Stuttgarter Karlsschule statt, und Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach und Goethe nahmen als Gäste des Württembergischen Herzogs Karl Eugen daran teil. Schiller erhielt während der Feierlichkeiten drei Auszeichnung in den medizinischen Fächern, war in diese Feier also auffällig involviert. Sicherlich stiftete diese erste Begegnung keinerlei persönliche Bekanntschaft zwischen Goethe und Schiller, nichtsdestotrotz fand die „Erstbesteigung“ „Erstbegegnung“ beider fast neun Jahre früher statt.

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