Im September 1811 gibt es Krach im Hause Goethe: Christiane von Goethe und Bettina von Arnim geraten offenbar in Streit und die Goethes brechen den Kontakt mit den von Arnims ab. Am 3. Oktober schreibt Charlotte Schiller darüber an die Erbprinzessin Karoline:
… die Flut des Klatschens ist ungeheuer. Die ganze Stadt ist in Aufruhr, und alles erdichtet oder hört Geschichten …
Dies ist eine gute Beschreibung eines umfangreichen Teils der Goethe-Literatur. Sie besteht ausschließlich aus der Fortsetzung des Klatsches mit anderen Mitteln; auch Ursula Naumanns Buch über Angelika Kauffmann und Goethe. Der geringste Teil des Buch beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen den beiden titelgebenden Personen; das wenige, was erzählt wird, wurde in zahlreichen anderen Biographien bzw. Romanen über Kauffmann schon einmal festgestellt oder zusammenspekuliert. Ansonsten wird seitenlang Goethes „Italienische Reise“ paraphrasiert oder aus ihr zitiert und – wie derzeit beliebt – überall dort, wo eine Interpretation ansetzen müsste, ein paar tiefsinnige Fragen gestellt. So gut wie nichts in diesem Buch ist in irgendeiner Weise erkenntnisvermittelnd. Weil’s so schön ist, ein Beispiel für Frau Naumanns Zugriffe:
War ihr Goethes Porträt mißraten, weil sie wieder einmal ihrer (fälschlich als Sehschwäche interpretierten) Neigung zur Schönmalerei nachgegeben hatte? Aber hätte sie das bei Goethe nötig gehabt? Wahrscheinlicher ist, daß er ihr Porträt so stark abwehrte, weil er sich bei aller äußeren Unähnlichkeit doch innerlich zu gut getroffen und entblößt fühlte. [S. 131]
Wer nun erwartet, es würde im Anschluss begründet, warum dies „wahrscheinlicher“ ist, sieht sich – wie überall sonst auch – getäuscht:
Weich, empfindsam, unentschieden, so wenig charaktervoll wie viele seiner gedichteten Figuren, Werther, Clavigo, Tasso, die alles andere als Tischbein-Goethes sind. Und zu jung für seine Jahre. Einer, der mit Ende dreißig seine Freundin Charlotte von Stein anschwärmte wie ein Minnesänger seine Dame; der eine Bildungsreise unternommen hatte, die andere mit zwanzig machten, und im Umgang mit seinen Künstlerfreunden in dieses Alter zurückfiel; der seine italienischen Tagebuchaufzeichnungen nach seiner Rückkehr nicht mehr lesen und weitergeben mochte, weil er sich für sie schämte. [S. 131 f.]
Auf die Spitze getrieben ist diese Sorte von sich überlegen fühlender Besserwisserei an Stellen wie dieser:
Höchst tadelnswürdig, nämlich nicht nur väterlich, waren dagegen Goethes Gefühle für Charlottes dreizehnjährigen Sohn Fritz, den er vor drei Jahren zu sich ins Haus genommen hatte. [S. 25]
Natürlich: Goethe als Päderast, der sich einen „Gespielen“ [S. 61] ins Haus holt, fehlte noch. Das ganze geht wohl auf eine missver- ständliche Stelle in Boyles Goethe-Biographie (Bd. I, S. 390 der deutschen Ausgabe) zurück und ist inzwischen weit genug herumgetratscht, um beim „Klatschpack“ (Goethe an Eichstädt, 29. Juli 1804) in Kurs zu stehen. Was für ein abgeschmacktes Verhältnis zu Goethe muss eine haben, um so etwas nachzuplappern?
Neben Goethes wird auch Herders Italienreise durchgehechelt, weil auch Herder Umgang mit Angelika hatte. Abschließend findet sich das Dutzend erhaltener Briefe Angelika Kauffmanns an Goethe – deren Gegenstücke verloren sind –, allerdings in geglätteter Fassung, da nach dem Geschmack von Frau Naumann „deren Orthographie im Original ziemlich abenteuerlich ist“ – wieder was, was sie besser weiß!
Alles in allem: Für die Voyeure wahrscheinlich enttäuschend, für alle anderen Zeitverschwendung.
Ursula Naumann: Geträumtes Glück. Angelica Kauffmann und Goethe. Frankfurt/M.: Insel, 2007. Pappband, 320 Seiten. 22,80 €.