Karl Eibl, einem der führenden deutschen Vertreter einer evolutionären Literaturwissenschaft und als „herausragender Wissenschaftler “ die „Geistesgröße (IX)“ des Nachrichtenmagazins, wird im SPIEGEL 38/2007 (17.09.2007) folgendes zugeschrieben:
Eibl sitzt in seinem kahlen Büro, das Experiment beginnt: Über allen Gipfeln / Ist Ruh, / In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch.
Er überlegt kurz. Die idyllische Szene entlaste den „psychischen Apparat“ der Leser von „Leistungsanforde- rungen“, sagt er dann. Das ermögliche so die „Feinjustierung der Sinne“ auf minimale Wahrnehmungen wie das Rauschen des Windes. Die Endreime befriedigen außerdem die Lust an der Wiederholung.
Durch derlei Mustererkennung werde das Gehirn trainiert. „Das Gehirn des modernen Menschen ist dreimal so groß wie das seiner Vorfahren“, sagt Eibl, „und daran dürften Sprache und Dichtung maßgeblich beteiligt sein.“ Das ästhetische Wohlgefallen an dem Gedicht habe „genuin evolutionäre Wurzeln“. Die „strukturierte Nichtwelt“ befriedige den Spieltrieb, führe zur Ausschüttung von Glückshormonen und stärke das Immunsystem. Nun ja. Für diese Interpretation dürfte ein Deutschschüler keine Eins erwarten. [S. 207]
Diese Mischung von Banalitäten und Phraseologie des Selbstverständlichen ohne jeglichen Bezug auf das konkret verhandelte Gedicht soll geeignet sein, die „vermeintliche Beliebigkeit literaturwissenschaftlicher Interpretation“ zu bekämpfen. Mit Unfug dieser Art scheint Eibl den Deutschen Germanistentag in Marburg eröffnen zu wollen:
Er will in seinem Vortrag Ungeheuerliches fordern: Wer Gedichte studiert, solle zunächst Darwin lesen, wer Goethe verstehen will, müsse Genetik büffeln. [S. 206]
Früher hätte man dergleichen Narrheiten einfach ausgelacht.
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[…] den Gipfeln und Wipfeln, die da im Artikeltext dauernd beschworen wird, ähnlich wie das Marius Fränzel in den Fliegenden Goethe-Blättern […]
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Früher hätte man dergleichen Narrheiten einfach ausgelacht.
Nicht wirklich. Früher war nämlich gar nichts besser 😉
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Ich kann hier Schopenhauer nur dem Sinn nach zitieren, nicht dem Wortlaut:
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„Wer Gedichte studiert, solle zunächst Darwin lesen, wer Goethe verstehen will, müsse Genetik büffeln.“ In der Tat – völliger Unfug, auch nie gesagt, wenngleich der Konjunktiv der indirekten Rede das suggeriert. Glauben Sie nur, wenn man mir etwas Kluges nachsagt!
Eibl
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Geglaubt habe ich sowieso nichts davon und gleich vorsichtig das Wort „zugeschrieben“ verwendet. Es gerät ja niemand straflos mit seiner Meinung in die Presse.